Geschichten von Dagmar Braunschweig-Pauli

Karnevalsgeschichte

Windpocken oder Wunderlampe

               Von einer kranken Hexe und einem wieder gesunden Häuptling erzählt Dagmar Pauli                                                   

 Einmal im Jahr geht unsere Schule ins Theater, in eine Kindervorstellung.

Voriges Jahr war das „Pippi Langstrumpf“ gewesen.

Api hatte mir viel davon erzählt.

Diesmal würde ich auch dabei sein, und meine Vorfreude wurde von Tag zu Tag größer.

Das Stück hieß: „Aladin und die Wunderlampe“. Schon das allein klang wunderschön.

 

Am Vortag packten Api und ich unsere Umhängetaschen.

Plötzlich sagte Mami zu mir: „Was sind das für Pöckchen an Deinem Hals?“

Sie zog mich aus und fand noch mehr Pöckchen an meinem ganzen Körper.

 

Papa rief unseren Hausarzt an, und der kam sofort. Er sagte dasselbe, was Mami schon gesagt hatte: „Windpocken“. Und „Bettruhe, solange er Temperatur hat! Auf jeden Fall zwei Wochen zu Hause bleiben, schulfrei sozusagen.“

 

Ich saß auf meinem Bett und die Tränen rannen mir über die Wangen.

„Was weinst Du denn?“ fragte Dr. Müller. „Dir kann doch nichts weh tun!“

„Aladin…“ schluchzte ich.

 

Mami erklärte Dr. Müller, daß ich traurig sei, weil ich am nächsten Tag nicht mit den anderen Kindern der Schule ins Theater gehen könne.

 

„Oder doch?“ überlegte sie laut, „wenn Du noch keine Pocken im Gesicht hast und ich Deinen Hals mit Make-up eincreme?“

 

Das tröstete mich ein bißchen. Vielleicht, vielleicht ging ich dann ja doch noch mit?

 

Dr. Müller lächelte bloß.

 

Am nächsten Morgen war mir schlecht, und ich hatte Fieber, und kein Make-up der Welt hätte meine Windpocken im Gesicht unsichtbar machen können.

 

Ich bekam mein Frühstück ans Bett gebracht, und Mami las mir vor. Windpocken könnten ganz gemütlich sein, wenn sie nicht so fürchterlich jucken würden.

 

Papa versprach mir, daß wir uns alle „Aladin und die Wunderlampe“ ansehen würden, sobald ich wieder gesund bin.

 

Api war besorgt. „Ob ich auch noch Windpocken bekomme?“

 

„Bestimmt in zwei Wochen“, sagte Mami, „so lange brütest Du die Windpocken nämlich aus.“

 

„Zwei Wochen!“ rief Api entsetzt. „In zwei Wochen ist doch Karneval! Da muß ich eine Hexe sein!“

 

Aber die Hexe fiel aus, weil Api Windpocken bekam. Sie hatte sie viel schlimmer als ich, und es war ihr ganz egal, daß die Hexe ausfallen mußte.

 

Ich war Häuptling. Indianerhäuptling. Ich malte Mami ein Bild von mir und meinem Pferd.

 

„Das Pferd kenne ich“, sagte Mami überrascht. „Das ist Iltschi. Dann kannst du nur Winnetou sein.“

„So heiße ich nicht!“ protestierte ich. „Ich heiße „Büffel“.

 

Ich war sehr gerne Häuptling.

 

Mein Teddy war auch Indianerhäuptling. Ich habe ihm eine Lederweste gemacht  und einen Lederköcher (mit Pfeilen aus aufgebogenen Büroklammern) und ein Lederstirnband mit einer Feder aus meinem eigenen Federkopfschmuck.

Copyright by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A.. Erstveröffentlichung mit zwei Illustrationen von Hieronymus Pauli am 3. Februar 1996 in: Fränkischer Sonntag, Magazin zum Wochenende.

Weihnachtsgeschichte

 

Die Maus in der Krippe

 

Weihnachten  1989

 

 

Ans Mäuschen hat keiner gedacht,

obwohl es doch hat mitgewacht

in dieser wunderbaren Nacht,

die uns das Christuskind gebracht.

 

 

Als der Stern stand über`m Stall,

und vom Himmel tönt` der Schall,

da hat`s Mäuschen ganz verschreckt

sich tief im Krippenstroh versteckt.

 

 

Plötzlich wird ihm warm ums Herz:

Die Angst ist weg! War`s nur ein Scherz?

Ganz verblüfft das Mäuschen hockt,

wo ihm die Angst ward ganz entlockt.

 

 

Ungewohnt für`s Mäuschen klein

Ist`s Gefühl, ohn` Furcht zu sein.

Wie ein Blitz aus heit`rem Himmel

Trifft`s der Mut durchs Strohgewimmel.

 

 

Nach der ersten Schrecksekund´

fand das Mäuschen schnell den Grund

für das Wunder seines Lebens,

das es führt zu neuem Streben.

 

 

Über ihm, es war zu spüren,

begann ganz zart es sich zu rühren.

Eifrig strebt die Maus hinauf,

um zu schau´n, wer obenauf.

 

 

Widerkäuend, stumpf der Blick,

war der Ochs schon eingenickt.

Nur der Esel hat bemerkt,

daß unter`m Stroh ging was ans Werk.

 

 

Sanfte Eselsaugen fragen,

wie das Mäuschen es kann wagen,

ungeniert, dreist, ja keck,

zu rumor`n in Jesus Bett?

 

 

Als das Mäuschen angekommen,

schlägt sein Herzchen ganz bekommen.

Ein strampelnd Kindlein es erblickt

und weiß sofort:  Es wird gepickt!

 

 

Vom neuen Mute angeregt,

das Mäuschen eilig sich bewegt,

huscht hin und her, zupft und beißt,

bis kein Hälmchen s`Kind mehr kneift.

 

 

„Dank` dir“, steht in Knäbleins Augen,

„sollst fortan zu Größ`rem taugen:

Bis in alle Ewigkeit

Soll „Mäuschen“ steh`n für Zärtlichkeit.“

 

 

 

©Copyright by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., Trier, Weihnachten 1989 

 

 

 

Sommergeschichte

 

                               Eduard

 

 

Als sie zur Koppel kam wurde sie von einer anderen Reiterin mit den Worten begrüßt: “Übrigens haben wir einen Neuzugang – ein Schäfchen! Es ist ganz scheu.“

 

„Ist es etwa eines von den versprengten, die von einem Hund auseinander getrieben wurden?“  Gerade eben noch hatte sie von den in Panik versprengten Schafen in den sozialen Netzwerken gelesen.

 

„Ja, es ist eines von diesen Wildschafen. Zwei von ihnen haben die Aktion wohl nicht überlebt.“

 

Sie schaute zur Herde. Wie immer standen Rappen, Braune und Füchse verstreut auf der Wiese, einige Tiere grasten, einige hoben ihre Köpfe und schauten zu ihnen hin.

 

Das Schäfchen sah sie aber nicht.

 

„Du mußt näher rangehen. Es ist nicht groß und wenn es im Gras liegt sieht man es kaum.“

 

Sie betrat die Koppel und näherte sich den Pferden.

 

Plötzlich bewegte sich inmitten der Herde ein vermeintliches Erdhügelchen, sprang auf seine dünnen Beinchen und gelangte mit erstaunlich großen Sätzen unter die Schattenbäume und ins sichere Gebüsch. 

 

 

Offensichtlich fühlte sich das Schäfchen nach seiner panischen Flucht vor den Hunden in der Pferdeherde geborgen.

Völlig furchtlos bewegte es sich zwischen den Pferden  und lief auch unter ihnen hindurch, klein genug war es ja.

 

Am nächsten Tag blieb - wie sie erkennen konnte - der kleine Schafbock in sicherer Entfernung von ihr stehen und schaute zu, wie ihr Pferd seinen Kopf in den roten Futtereimer steckte.

 

Auch sie konnte ihn sich jetzt genauer anschauen: seine Wolle war schokaldenbraun mit einem weißen Häubchen auf seinem Köpfchen, und er hatte etwa die Größe eines Foxterriers.

 

Neben und zwischen den Pferdbeinen wirkte er noch kleiner als er ohnehin war. 

 

Am dritten Tag – sie hatte wie immer gehupt, um ihr Kommen anzukündigen – sprang ihr das Böckchen bereits einige Schritte entgegen. Und als sie den Futtereimer vor ihrem Pferd abgestellt hatte, war es plötzlich neben ihr.

 

Ihr Pferd schaute auf das Schafböckchen herab, und das Schafböckchen schaute zu ihrem Pferd hinauf.

 

 

Das war wohl als Einladung zum gemeinsamen Futtern gemeint:zuerst tauchte das Böckchen sein Köpfchen in den Futtereimer, und dann der Rappe seinen großen Kopf. Das wiederholten sie in schönem Wechsel. 

 

„Wie heißt du eigentlich?“ fragte sie im Scherz und lachte über ihre Frage, die das Schafböckchen natürlich nicht beantworten konnte.

„Wenn du auf „Eduard“ hörst, nenne ich dich „Eduard“ sagte sie zu ihm.

 

An den folgenden Tagen rief sie auf der Koppel zuerst ihr Pferd und dann Eduard.

 

Ihr Pferd ließ sich wie immer Zeit.

 

Aber Eduard kam ihr entgegen, zuerst mit zögernden Schritten, dann in lustigen Sprüngen.

 

Nach einer Woche hatte Eduard seine Scheu ihr und auch den anderen Reitern gegenüber völlig überwunden.

 

 

Zutraulich kommt Eduard angesprungen, sobald sie die Koppel betritt, bedient sich ganz selbstverständlich aus

dem roten Futtereimer, knabbert an ihrem Stiefel und läßt sich dabei sogar streicheln.

 

 

Copyright by Dagmar Braunschweig-Pauli, 26.06.2018

Frühlingsgeschichte

Romeo und Julia im Schullandheim

 

Nachdem der Taxifahrer ihren Koffer verstaut hatte fragte er: „Zum Bahnhof?“

„Nein, zum Gymnasium“.

„Ah, da geht`s wohl ins Schullandheim?“

Sie nickte.

„Da wünsch` ich viel Spaß, und daß Sie `mal tüchtig über die Strenge hauen können.“

„Gerade das soll ich verhindern.“ Sie lachte. „Ich gehöre zum anderen Lager.“

„War dann wohl `nen  Schuß in`n Ofen!“ Der verdutzte Taxifahrer lachte auch.

 

Es war ihr erster Schullandheimaufenthalt mit einer Klasse, einer 10, gemischt, und sie kannte sie nicht.

 

Der Klassenlehrer war zuversichtlich, daß sie und seine Klasse sich schnell miteinander anfreunden würden.

 

Und es machte viel Spaß, zusammen zu wandern, zu spielen und Sehenswürdigkeiten zu besichtigen.

 

Die Schüler, das waren junge Leute mit Wissen und eigener Meinung, mit denen man stundenlange Gespräche führen konnte. Prima!

Und es waren auch junge Leute, die sich erst hier, losgelöst vom Schulalltag, besser kennenlernten und sich näher kamen.

 

Aber daß sie sich nicht zu nahe kamen, darauf hatten die sie begleitenden Lehrer zu achten.

 

Ihr war im Verlaufe des Aufenthaltes aufgefallen, daß bei sonst wechselden Gruppen, sich immer ein Paar scheinbar zufällig zusammenfand. Beim Wandern oder im Café oder bei einer Besichtigung.

„Aha!“, dachte sie.

 

Abends, nach dem „Zapfenstreich“, machten sie und ihr Kollege die "Gute-Nacht-Runde", er bei den Jungen, sie bei den Mädchen.

 

Da mußte sie ihre Schutzbefohlenen einzeln zusammensuchen, sie waren in allen Zimmern verstreut, nur wenige lagen schon in ihrem Bett.

 

An einem Abend wurde sie von den Mädchen überraschenderweise bereits an der Flurtüre erwartet und umringt und mit Wortschwallen überschüttet.

 

„Aha“, dachte sie und suchte unter den sie umringenden ein bestimmtes Mädchen. Es war nicht dabei.

 

Sie ging auf eine Zimmertüre zu, vor der sich einige aufgeregte Mädchen gestellt hatten. Trotzdem gelang ich ein Blick auf eine grüne Kordhose, die sie mitsamt ihrem Träger kannte, und die hier nichts zu suchen hatte.

 

Ihr und allen Mädchen war natürlich klar, daß der Klassenlehrer den Schullandheimaufenthalt sofort beenden mußte, wenn er von dieser Situation erfuhr.

 

Sie sah die Mädchen der Reihe nach an.

 

„Ich weiß, was euer Empfang zu bedeuten hat.

 

Ich gehe jetzt wieder hinaus und kehre eurer Türe den Rücken. Dann will ich deutliche Schritte hören, die die Treppe hinaufgehen, sehr deutliche Schritte! Anschließend komme ich zurück, und dann sagen wird uns wie immer „gute Nacht.“

 

Sie ging hinaus und schaute durch das Flurfenster.

 

Sie hörte deutliche Schritte, die, die Stufen überspringend, die Treppe hinaufstürmten.

 

Beim Frühstück wurde sie von allen Seiten mit Kaffee und Brötchen und Marmelade bedient.

Der Klassenlehrer sah sie zufrieden lächelnd an: „Ich sagte Ihnen ja, Sie würden sich schnell mit meiner Klasse anfreunden.“

 

 

©by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., 1992

Drei Wintergeschichten

Foto: Dagmar Braunschweig-Pauli: Verschneiter Grüneberg in Trier

 

Schmierseife. Eine kleine Wintergeschichte.

 

 

Meine kleine Wintergeschichte beginnt im Sommer.

 

Sie hatte die Hecke wie immer per Hand mit ihrer Heckenschere geschnitten und schob nun den großen Umzugskarton, in den sie den Heckenschnitt nach und nach einsammelte, mit einem Fuß vor sich her.

 

Es war praktischer und für sie auch leichter, den Karton mit dem Heckenschnitt in den Garten zu bringen, als die Schubkarre zwischen Bürgersteig und Komposthaufen hin- und her zu fahren.

 

Nun stand sie vor ihrem Morgenwerk, einem Bürgersteig voller Heckenschnitt, und schaute zufrieden über den mit Grünzeug übersäten Fußweg.

 

Sie beugte sich hinunter und schaufelte die abgeschnittenen Heckenzweige in den Karton.

 

In diesem Moment bog ein Fahrzeug der Stadtreinigung um die Ecke, bremste abrupt neben ihr ab, und der Fahrer rief ihr zu: „Das kann ich mitnehmen.“

„Das ist ja toll“, antwortete sie erfreut und sah ihm zu, wie er ihren gesamten Heckenschnitt auf sein Reinigungsfahrzeug schüttete.

 

Ehe er weiterfuhr, sagte er: „Ein Frage habe ich noch: Ich soll für meine Frau Schmierseife besorgen. Wissen Sie, wo ich die hier finden kann?“

„Ja“, antwortete sie, „im Edeka, da ist Schmierseife gleich am Anfang des Drogerie-Regals einsortiert.“

 

Nach dem ersten Schneefall beeilte sie sich morgens noch vor dem Frühstück, daß sie hinauskam, um den Bürgersteig vom Schnee zu räumen.

 

Aber als sie vors Haus trat, war ihr Bürgersteig schon geräumt.

Sie stand da, schaute sich die erfreuliche Bescherung an und wunderte sich.

„Ich scheine ein Heinzelmännchen zu haben“, dachte sie und lächelte über diesen Gedanken.

 

Es schneite wieder sehr stark und sie hatte gerade angefangen, den frisch gefallen Schnee vom Bürgersteig zu kehren.

Da bog ein Streufahrzeug der Stadtreinigung um die Ecke, bremste, wendete, und kam, langsam auf ihrem Bürgersteig fahrend und Streusalz verstreuend, auf sie zu.

 

Der Fahrer stieg aus, grüßte freundlich, und sagte: „Sie haben mir doch gesagt, wo ich Schmierseife finden kann.“

„Ja“, bestätigte sie überrascht und musste lachen, weil sie sich wieder an die Situation mit der Schmierseife und natürlich an den freundlicherweise mitgenommenen Heckenschnitt erinnerte.

 

„Die Schmierseife hat meiner Frau sehr geholfen,“ erklärte er, grüßte freundlich und fuhr – immer noch auf ihrem Bürgersteig Streusalz streuend – davon.

 

©Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., 2018

 

 

Der Hackklotz

 

 

 

Foto: Dagmar Braunschweig-Pauli, 2021.

 

 

 

Zugegeben: Gartenarbeit war nicht ihr Ding.

Und Holzhacken war schon gar nicht ihre Spezialität.

 

Außerdem durfte sie es seit seinem 18. Geburtstag auch gar nicht mehr.

Von dem Tag an nahm er ihr sozusagen die Axt aus der Hand und war nur noch allein für das Feuerholz zuständig, d.h. er zerkleinerte von da an die großen Holzscheite mit der Axt zu handlichen, für den Holzofen passendende Holzstücken, schichtete sie in den großen Weidenkorb, und stellte ihn griffbereit neben den gusseisernen Ofen.

Das war immer ein heimeliges Bild.

Und Anheizen konnte sie natürlich auch zu jeder Zeit, wenn ihr danach war.

 

Zum ersten Mal seit 2 Jahren war der Holzkorb neben dem Ofen leer.

Also musste sie diesmal zum Anheizen  wieder selber zur Axt greifen und Kleinholz zum Anfeuern hacken.

 

Sie setzte sich die Brille auf – gegen herumfliegende Holzstückchen – und zog sich die Handschuhe an – gegen Holzsplitter beim Holzaufheben - , nahm die bereit liegende Axt und stellte das erste Holzscheit auf den Hackklotz.

 

Es war ein knorriger Holzklotz – bedeutend dicker und größer als die anderen Holzscheite – mit rauer, borkiger Rinde.

 

Der Hackklotz war sozusagen das erste eigene Produkt aus ihrem Garten: es hatte ein Baum gefällt werden müssen, und aus dem Baumstumpf hatte ihr Herr B. diesen Hackklotz gesägt.

Irgendwie war es dann ihr Hackklotz geworden.

Immerhin hatte sie zwei Winter lang auf ihm das Feuerholz für ihren Holzofen gehackt, das verbindet.

 

Sie hatte die Tagesportion Holz schon gehackt, als er zu ihr auf die Terrasse trat.

 

Er schaute auf die zerkleinerten Holzstücke und den Hackklotz und fragte mit kleinem Schmunzeln in den Augenwinkeln: „Sag bloß, du hast dieses Holzstück als Hackklotz benutzt?“

„Selbstverständlich! Das ist doch mein Hackklotz! Den hat mir Herr B. doch aus unserer abgesägten Buche zurecht gesägt.“

 

Er lachte schallend: „Willst du mir wirklich dieses Stück Holz als deinen Hackklotz verkaufen?“

„Erstens war das keine Buche, die Herr B. bei uns abgesägt hat, sondern eine Kastanie.

Zweitens ist dieses Stück Holz aus Eiche – das sieht man schon an der Rinde.

Und drittens habe ich unseren Hackklotz letztes Jahr versehentlich gespalten, danach aber absichtlich weiter zerkleinert.

Und wir haben ihn längst verheizt.“

 

©by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., 2009.

Foto: Dagmar Braunschweig-Pauli 2018

Steckbrief einer Jägerin

Foto:Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., Oktober 2020 - zwei Dackel sind neben Tasche und Stiefel abgelegt.

   

 

Eigentlich wollte sie nur Streusalz kaufen.

 

Die Straßen waren glatt, es schneite immer wieder, und sie zog ihre trittsicheren, rustikal wirkenden Haferl-Stiefel an. Denn wegen der Glätte ging sie lieber zu Fuß anstatt mit dem Auto zu fahren.

Sie hängte sich ihre praktische Umhängetasche um, die etwas heller sandfarben als ihre Haferlstiefel war und durch dunkle Nieten und Schnallen  ebenfalls rustikal wirkte.

 

Auf dem Weg zum Supermarkt ging eine Frau vor ihr, die einen Rauhhaardackelrüden an der Leine führte, und sie dachte: „Sie traut sich, ihren Dackel bei diesen frostigen Temperaturen mitzunehmen“.

Denn sie selber hatte ihren eigenen Rauhhaardackelrüden wegen der eisigen Kälte doch lieber Zuhause gelassen.

 

Sie ging an der Frau vorbei, als diese mit ihrem Dackel stehen geblieben war und die Hundeleine um einen Pfosten wickelte, und sie hörte, wie die Frau zu ihrem Dackelrüden sagte: „Hoffentlich nimmt dich keiner mit“.

 

Das wirkte wie ein Stichwort.

 

Sie drehte sich zu der Frau um und sagte: „Das ist auch immer meine Angst, wenn ich mit meinem Rauhhaardackel unterwegs bin.“

 

„Ich will nur ganz schnell Hundefutter kaufen. Würden Sie vielleicht in dieser Zeit auf ihn aufpassen? Er heißt Maxi“.

 

Natürlich paßte sie auf Maxi auf.

 

Die Sorge der Dackelbesitzerin kannte sie ja nur zu gut aus eigener Erfahrung.

 

Maxi gehorchte, als sie „sitz“ sagte und schmiegte seinen Kopf an ihre Beine und ließ sich von ihr kraulen, als sie sich neben ihn hinhockte.

Jeder, der an ihnen vorbei ging, lächelte oder schmunzelte.

 

Ein Ehepaar blieb stehen. Der Mann sagte: „Sie sind bestimmt Jägerin.“

 

 „Ich bin nur die Dackelsitterin“, sagte sie lachend, „er gehört mir gar nicht. Ich habe zwar auch einen Rauhhaardackel, aber eine Jägerin bin ich nicht.

 

Nun lachte das Ehepaar auch und der Mann erklärte: „Es hat einfach alles gepaßt - der Rauhhaardackel, die Stiefel und die Tasche.“

 

©Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., Dezember 2016

 

 

Lebensnotwendig. Eine Fabel.

Foto:Dagmar Braunschweig-Pauli M.A.,Himmelfahrt 2006

 

Lebensnotwendig. Eine Fabel.

 

Ein Bauer hatte eine große Viehherde und einen tiefen Fischteich.

Ein Knecht kam zu ihm und sagte: ,,Die gefleckte Kuh schreit. Was soll ich tun?"

,,Wahrscheinlich hat sie Durst. Gib ihr einen Eimer voll Wasser. Ohne Wasser kann man nicht leben, das ist lebensnotwendig".

,,'Wenn Wasser so lebensnotwendig ist, warum soll ich ihr dann nur einen Eimer Wasser geben? Und warum nur ihr allein und nicht den anderen Kühen auch?", dachte der Knecht und er trieb alles Vieh zusammen und geradewegs in den tiefen Teich hinein.

Die Kühe versanken sofort im Wasser und ertranken alle.

 

Entsetzt lief der Knecht zum Bauern und berichtete ihm von diesem Unglück.

 

,,Wie konntest du das tun?" schimpfte der Bauer. Du solltest doch nur die eine Kuh tränken, und nicht alle, und schon gar nicht alle ins Wasser treiben. Nun sind die Kühe im Wasser ertrunken, weil sie keine Luft mehr bekamen. Aber ohne Luft können sie nicht leben, Luft ist lebensnotwendig!"

 

,,Gut, nun ist also Luft lebensnotwendig", murrte der Knecht, ,,vorhin war es noch das 'Wasser".

Und er ging zu dem Teich, fischte mit einem Netz alle Fische heraus und legte sie auf die Wiese in die Sonne. Die Fische krümmten sich und schnappten mit ihren Mäulern in höchster Not um sich und starben alle.

 

Wieder lief der Knecht entsetzt zum Bauern und berichtete ihm auch von diesem neuen Unglück.

 

,,Wie konntest du das tun?", der Bauer war aufgebracht. Für die Fische hattest du gar keinen Auftrag gehabt. Du hast sie ohne Grund aus dem Wasser geholt, und nun sind die Fische an der Luft erstickt. Das Wasser ist ihr Lebensraum, ohne Wasser können sie nicht leben."

 

Da wurde auch der Knecht auch ärgerlich und er rief: ,,Was ist denn nun lebensnotwendig, das Wasser oder die Luft?"

 

,,Beides, Wasser UND Luft sind lebensnotwendig“, sagte der Bauer, ,,aber jedes in dem Maße, in dem es für das einzelne Lebewesen richtig ist. Für die Kühe ist Wasser lebensnotwendig, aber nur zum Trinken, ganz im Wasser können sie nicht leben, weil ihnen dort die Luft zum Atmen fehlt und sie dort aus Luftmangel ersticken.

Für die Fische ist Wasser lebensnotwendig um darin zu leben, aber außerhalb des Wassers können sie nicht leben, dann ersticken sie an der Luft.

 

,,Wie kann ich aber herausfinden, was ich tun muß, um nicht wieder solche Fehler zu machen?" fragte der Knecht.

 

,,Betrachte immer das Ganze in seiner natürlichen Umgebung, nie nur einen einzelnen Teil, und behandele Jedes nach seinem eigenen Bedarf'. Wenn du das getan und nur die eine Kuh nach ihrem Bedarf getränkt hättest, wäre ihr den anderen Kühen und den Fischen, um die du dich ohne Bedarf gekümmert hast, nichts passiert. Auch hast du die Kühe aus ihrer natürlichen Umgebung - der Weide - herausgerissen, und ebenso die Fische aus ihrem Lebensraum, dem Wasser, weil du zuerst nur auf das Wasser und dann nur auf die Luft. als einzig lebensnotwendig fixiert warst. Damit hattest du das Ganze in seiner natürlichen Umgebung aus den Augen verloren.

 

Es ist immer falsch, eine Sache nur als Einzelnes zu betrachten und sie nicht in ihrem ganzen, natürlichen  Zusammenhang zu sehen.

 

Copyright: Dagmar Braunschweig-Pauli M.A.,Himmelfahrt 2006

 

 

 

©Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., Himmelfahrt 2006.