O lieben kynt der crystenheyt. Trierer Marienklage

 

O lieben kynt der crystenheyt, helffet clagen myr myn groeß hertzeleyt!

 

Wir Christen erleben gerade, daß in unserem christlichen Abendland seit weit über tausend Jahren zum ersten Male Gottesdienste und Familienfeiern an Ostern, unserem größten christlichen Fest, offiziell – und unter Strafe - abgesagt sind.

Dazu fällt mir nur „O lieben kynt der crystenheyt“ ein, Marias erster Cantus aus der Trierer Marienklage, Codex 1973/63 der Stadtbibliothek Trier:

 

Incipit planctus mariae virginis sextae feriae ultima pars

O lieben kynt der crystenheyt,

helffet clagen myr myn groeß hertzeleyt!

Myn clage ist erde unde steyne,

und dye werlde algemeyne

van der groeßen iamerkeyt,

dye die Menschen haynt an myn hertczes liebes kynt geleit.

 

Et dicit rittmum sequentem:

Groeß jamer und clage

Die ich vill arme frauwe drage!

Ich hatte ein hertze truid kynt,

das hayn ich verloren hynt,

das haynt myr die Menschen genommen.

O we, nu byn ich weyseloes,

wantt ich byn alles troestes bloeß,

synt mich die vermaledyde Häscher schar

haynt verweyßeloest also gar.

Des lyt myn hertze groeße noet,

ich wulde, das ich were nur in doet.

Literatur:

Dagmar Braunschweig-Pauli M. A.: „Zur Musik der Trierer Marienklage und des Trierer Osterspieles“, Kurtrierisches Jb. 31, 1991, S. 75-82.

Dagmar Braunschweig-Pauli M.A.: „Die ein- und mehrstimmigen Lieder der Handschrift 516/1595

der Stadtbibliothek Trier“, Kurtrierisches Jb. 31, 1991, S. 45 – 74.

 

Copyright by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., 07.04. 2020