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Jesus in Deutschland - Eine Weihnachtsfabel

Dagmar Braunschweig-Pauli M.A.

 

Jesus in Deutschland – Eine Weihnachtsfabel

 

Wie jedes Jahr um die Weihnachtszeit gab es auch in diesem Jahr im Himmel einen Disput darüber, ob der berühmte Dichter wohl Recht behalten würde, der gesagt hatte, daß Jesus Christus auch heute wieder gekreuzigt werden würde, wenn er auf die Erde zurück käme.

 

Jesus sagte: „Das Christentum ist 2000 Jahre alt, mein Geburtstag wird jedes Jahr weltweit mit immer größerem Aufwand gefeiert. Ich werde euch beweisen, daß dieser Dichter Unrecht hat.“

 

In Deutschland geht Jesus auf einen Weihnachtsmarkt, wo ihm der Duft von Kartoffelpuffern in die Nase steigt. Er möchte sich eine Portion Kartoffelpuffer bestellten und fragt aber vorher: „Was für Salz habt ihr für die Kartoffelpuffer benutzt?“

 

„Jodsalz“ wird ihm geantwortet.

 

Jesus schüttelt abwehrend den Kopf: „Dann kann ich diese Kartoffelpuffer nicht essen. Jodsalz ist nicht koscher. Ich bin Jude und ernähre mich nur von koscheren Lebensmitteln.“

 

Jesus wird zu einer deutschen Weihnachtsfeier eingeladen und wird gebeten, auf dem Ehrenplatz am Kopf der Festtafel Platz zu nehmen. Als die Schüsseln mit der Weihnachtsgans, dem Rotkohl und den Kartoffelklößen herumgereicht werden fragt Jesus: „Was für Salz habt ihr benutzt?“

 

„Jodsalz“ wird ihm geantwortet.

 

Jesus schüttelt abwehrend den Kopf. „Dann kann ich Euer Weihnachtsessen nicht mitessen. Jodsalz ist nicht koscher. Ich bin Jude und ernähre mich nur von koscheren Lebensmitteln.“

 

Jesus besucht daraufhin einen evangelischen Weihnachtsgottesdienst. Als er sich mit den anderen Gläubigen um den Altar aufstellt, um das Abendmahl zu empfangen, fragte er den Pfarrer: „Was für Salz ist in diesem Brot?“

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„Jodsalz“ wird ihm geantwortet.

 

Da schüttelt Jesus traurig den Kopf. „Was habt ihr mit meinem Brot des Lebens gemacht? Jodsalz ist nicht koscher. Ich kann an dem Abendmahl, das ich euch gestiftet habe, nicht teilnehmen.“

 

Und Jesus geht hinaus in einen Stall.

„In einem Stall wurde ich geboren“, sagte Jesus, „in einem Stall wenigstens werde ich vor Jodsalz sicher sein.“

 

Da sieht Jesus einen roten Stein im Futtertrog liegen und fragt die Tiere: „Was habt ihr da Rotes in eurem Futtertrog?“

 

„Einen Jodsalz-Leckstein“, wird ihm geantwortet.

 

Da verläßt Jesus auch den Stall.

 

„Der Dichter hat trotzdem Unrecht“, sagt Jesus resigniert. „Ich würde sicher nicht wieder gekreuzigt – ich würde mit Jod vergiftet.“

 

©Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., Weihnachten 2003. Erstveröffentlicht im Advent 2019.