Feuilleton


 

Eduard

 

Als sie zur Koppel kam wurde sie von einer anderen Reiterin mit den Worten begrüßt: “Übrigens haben wir einen Neuzugang – ein Schäfchen! Es ist ganz scheu.“

„Ist es etwa eines von den versprengten, die von einem Hund auseinander getrieben wurden?“  Gerade eben noch hatte sie von den in Panik versprengten Schafen in den sozialen Netzwerken gelesen.

„Ja, es ist eines von diesen Wildschafen. Zwei von ihnen haben die Aktion wohl nicht überlebt.“

 

Sie schaute zur Herde. Wie immer standen Rappen, Braune und Füchse verstreut auf der Wiese, einige Tiere grasten, einige hoben ihre Köpfe und schauten zu ihnen hin.

Das Schäfchen sah sie aber nicht.

„Du mußt näher rangehen. Es ist nicht groß und wenn es im Gras liegt sieht man es kaum.“

 

Weiter lesen.. Details
Sie betrat die Koppel und näherte sich den Pferden.. Plötzlich bewegte sich inmitten der Herde ein vermeintliches Erdhügelchen, sprang auf seine dünnen Beinchen und gelangte mit erstaunlich großen Sätzen unter die Schattenbäume und ins sichere Gebüsch. Offensichtlich fühlte sich das Schäfchen nach seiner panischen Flucht vor den Hunden in der Pferdeherde geborgen. Völlig furchtlos bewegte es sich zwischen den Pferden und lief auch unter ihnen hindurch, klein genug war es ja. Am nächsten Tag blieb - wie sie erkennen konnte - der kleine Schafbock in sicherer Entfernung von ihr stehen und schaute zu, wie ihr Pferd seinen Kopf in den roten Futtereimer steckte. Auch sie konnte ihn sich jetzt genauer anschauen: seine Wolle war schokaldenbraun mit einem weißen Häubchen auf seinem Köpfchen, und er hatte etwa die Größe eines Foxterriers. Neben und zwischen den Pferdbeinen wirkte er noch kleiner als er ohnehin war.

 

Am dritten Tag – sie hatte wie immer gehupt, um ihr Kommen anzukündigen – sprang ihr das Böckchen bereits einige Schritte entgegen. Und als sie den Futtereimer vor ihrem Pferd abgestellt hatte, war es plötzlich neben ihr.

 

Ihr Pferd schaute auf das Schafböckchen herab, und das Schafböckchen schaute zu ihrem Pferd hinauf. Das war wohl als Einladung zum gemeinsamen Fressen gemeint: zuerst tauchte das Böckchen sein Köpfchen in den Futtereimer, und dann der Rappe seinen großen Kopf. Das wiederholten sie in schönem Wechsel. „Wie heißt du eigentlich?“ fragte sie im Scherz und lachte über ihre Frage, die das Schafböckchen natürlich nicht beantworten konnte. „Wenn du auf „Eduard“ hörst, nenne ich dich „Eduard“ sagte sie zu ihm.

 

An den folgenden Tagen rief sie auf der Koppel zuerst ihr Pferd und dann Eduard. Ihr Pferd ließ sich wie immer Zeit. Aber Eduard kam ihr entgegen, zuerst mit zögernden Schritten, dann in lustigen Sprüngen. Nach einer Woche hatte Eduard seine Scheu ihr und auch den anderen Reitern gegenüber völlig überwunden. Zutraulich kommt Eduard angesprungen, sobald man die Koppel betritt, bedient sich ganz selbstverständlich aus dem roten Futtereimer, knabbert an ihrem Stiefel und lässt sich dabei sogar streicheln.

 

©by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., 26.06.2018.

Eine Blume, die eine Burgfrau war

Dagmar Braunschweig-Pauli M.A.,

 

Eine Blume, die eine Burgfrau war

In keinem August war mir bisher die Blume mit dem leuchtenden Blau so aufgefallen wie in diesem Jahr.

Wo wir fuhren und gingen, schien sie alle Wegränder zu säumen. He und Hi fiel sie auch auf, und sie fragten mich nach dieser blauen Blume.

„Das ist die Blaue Wegwarte“, antwortete ich, „sie steht hier am Weg und wartet auf ihren Ritter, der in den Kreuzzug ausgezogen und immer noch nicht zurückgekehrt ist.“

„Wann war das?“ frage He.

„Das war vor über 700 Jahren.“

„Bitte, erzähle uns die Geschichte“, bat Hi.

„Es war zu der Zeit, als viele Ritter ins Heilige Land, wo unser Herr Jesus gelebt hat, zogen, um im Heiligen Land zu kämpfen. So ein ganzes Ritterheer nannte sich Kreuzzug. Denn das Kreuz, an dem Jesus gestorben war, war sein Erkennungszeichen. Und die Ritter, die mitzogen, hießen Kreuzritter.

Damals lebte auf einer Burg ein junger Ritter mit seiner Frau, und sie waren sehr glücklich miteinander, weil sie sich lieb hatten.

Aber dann kam der Befehl, sich am Kreuzzug zu beteiligen, und der Ritter nahm traurig Abschied von seiner Burgfrau.

„Im Sommer übers Jahr komme ich wieder“, versprach er ihr. Und sie sagte: „Ich werde am Weg in meinem blauen Mantel auf dich warten.“ Und sie winkten sich so lange zu, bis sie sich nicht mehr sehen konnten.

„Kam er denn wieder?“ fragte Hi. Ich schüttelte den Kopf. „Er hatte es versprochen, und sie glaubte ganz fest daran. Im Sommer übers Jahr stand sie in ihrem blauen Mantel tag für Tag an dem Weg, der zur Burg hinaufführte, und wartete auf ihren Ritter. Als er in diesem Sommer nicht kam, wartete sie den nächsten Sommer und wieder den nächsten Sommer, viele Jahre lang.“

„Warum kam er denn nicht?“ fragte He. „War er gestorben?“

Ich verneinte. „Bei allen heimkehrenden Kreuzfahrern, die an ihr vorbeikamen, hatte sie sich nach ihrem Ritter erkundigt, und alle kannten ihn und wußten, daß er sich auf den Heimweg gemacht hatte.

„Dann wird er zu mir zurückkommen,“ sagte die Burgfrau und wartete weiter am Weg, Sommer für Sommer.

-      2      -

Darüber wurde sie alt und müde, und der liebe Gott hatte Mitleid mit ihr sagte: „Ich werde dir h elfen auf deinen Ritter zu warten. Du sollst als eine blaue Blume an allen Wegrändern wachsen, damit du deinen Ritter niemals verfehlen kannst, wenn er vielleicht auf einem anderen Weg als diesem zu dir zurückkehrt.“

„Deswegen sehen wir sie so oft,“ sagte Hi, „weil sie noch wartet.“

„Meinst du, sie glaubt immer noch daran, daß ihr Ritter zurückkehren wird?“ fragte He zweifelnd.

„Ganz sicher“, sagte ich, „sonst würde sie ja hier nicht an allen Wegen warten.“

„Und glaubst du, daß ihr Ritter tatsächlich zurückkommt?“ wollte Hi wissen.

Ich antwortete: „Wenn die Wegwarte die Hoffnung auf seine Rückkehr noch nicht aufgegeben hat, warum sollte dann ich an ihr zweifeln?“ Man darf die Hoffnung nie aufgeben.“

He nickte: „Ich glaube auch, daß er zurückkommt.“

„Vielleicht dauert das noch einmal 700 Jahre“, überlegte Hi.

In diesem August, das wußten wir, war der Ritter noch nicht zu seiner Burgfrau zurückgekehrt.

 

©by Dagmar Braunschweig-Pauli M.A., Erstveröffentlicht in: Fränkischer Sonntag, 30. August 1997.